Naturkindergarten "Ludwigsaue"

„Die beste Schule, in der ein junger Mensch lernen kann, dass die Welt einen Sinn hat, ist der unmittelbare Umgang mit der Natur selbst.“ 
Konrad Lorenz

Erste fragende Gedanken...
Was ist eigentlich ein „Natur“kindergarten? Ist das ein Kindergarten in der Natur? Sind die Kinder immer draußen? Auch im Winter, auch, wenn es regnet? Egal, bei welchem Wetter? Gilt also: Schlechtes Wetter gibt es nicht, nur schlechte Kleidung? Ist es dann ein Kindergarten ohne Kindergarten? Oder gibt es doch einen Schutzraum? Was spricht dafür, dass Kinder und Erzieherinnen im Prinzip immer, Tag für Tag im Freien verbringen? Was ist gleich und was unterscheidet Kindergarten und Naturkindergarten? Und wie ist es im Naturkindergarten Ludwigsaue?

Foto: Petra Wachtel 

So ist es im Naturkindergarten Ludwigsaue!
Die Kindergruppe des Naturkindergartens Ludwigsaue ist immer draußen. Es gibt einen Schutzraum, einen Aufenthaltswagen ( ein Bauwagen, der spartanisch und zweckmäßig ausgestattet ist ) .
Hier ist der Treffpunkt, an den die Eltern ihre Kinder bringen und abholen. Hier beginnt und endet für die Kinder ihr Kindergartentag.
Auch die Räumlichkeiten des Naturbildungshofes können genutzt werden. 

Die Gemeinde Trebur und der Naturschutzbund Deutschland haben die Idee der Wald- und Naturpädagogik aufgegriffen, eine Konzeption entwickelt und in die Tat umgesetzt.

Am 1.9.2004 wurde nach einer Vorlaufzeit und Planungsphase von etwa zwei Jahren der Naturkindergarten Ludwigsaue eröffnet. Die Gemeinde ist Träger des Naturkindergartens. Der NABU unterstützt die Einrichtung auch weiterhin. 

In einer altersgemischten Gruppe werden bis zu 20 Kinder im Alter von drei und sechs Jahren von zwei Erzieherinnen betreut. Es gelten die gleichen Bestimmungen, wie für alle anderen Einrichtungen der Gemeinde. 
Geöffnet ist der Naturkindergarten von 8.00 – 13.00h.

Gestartet wurde im September mit 11 Kindern. 
Monat für Monat kamen Neuaufnahmen hinzu. Das Interesse innerhalb der Gemeinde ist groß, eine Warteliste ist entstanden. Auch Eltern mit jüngeren Kindern aus umliegenden Kommunen sind von der Idee für ihr Kind angetan.

Die Ludwigsaue bietet mit seiner von Menschenhand geprägten Kulturlandschaft ideale „Räume“ für Kinder. Die Landschaft um die Ludwigsaue ist vielfältig. Wiesen, Obstbaumwiesen, alte Kopfweiden, Ackerflächen, neuere und ältere Aufforstungen, Schilf, Sommer- und Winterdamm bieten im Jahresverlauf jede Menge „Erleben“.
In diesen Räumen können die Kinder verweilen, entdecken, sich austoben, ihre Fähigkeiten ausprobieren, ihre Grenzen erfahren, viel erleben und erlernen, sich besinnen und weiterentwickeln.

Wer Interesse oder Fragen hat, kann sich gerne an mich (Petra Wachtel, Leiterin des Naturkindergartens, Tel. 06147/204879) wenden.

Foto: Petra Wachtel 

  

Der Alltag im Naturkindergarten Ludwigsaue
Die Kinder werden in der Zeit von 8.00h bis 9.00h zu ihrem „Bauwagen“ gebracht. Dieser hat seinen Standort direkt vor dem Naturbildungshof Ludwigsaue. Entsprechend den Bedürfnissen der Kinder entsteht dort ein „Garten für Kinder“. Wichtig ist den Kindern „ihr Lager“, das sie mit Fundstücken aus der Umgebung füllen. Bei der Anlage eines Weges durch ihren Garten waren sie mit demselben Feuereifer dabei, wie sie sich auf den Entdeckungstouren für neue Plätze begeistern.
Gestartet wird nach dem „Klotzkreis“, einer Runde, in der nach der Begrüßung mit einem Lied besprochen wird, wer da ist, wer fehlt, wie viele da sind, welcher Tag ist, was gestern war, wohin es heute gehen und was mitgenommen (zusätzliche Materialien wie z.B. Seile, Schnitzmesser, Bilderbuch oder Fernglas) werden soll. 
So ausgerüstet – als Standard immer dabei und in zwei Rucksäcken getragen von den Erzieherinnen: Handy, Erste-Hilfe-Ausrüstung, Spaten und Zubehör (die Toilette im Naturkindergarten), kalte oder warme Getränke, Iso-Matten, Wasser zum Händewaschen und Handtüchern.
Je nach Witterung kommt eine Regen- oder Sonnenplane hinzu.
Die Kinder tragen ebenfalls einen Rucksack, entsprechend ihrer Körpergröße, gefüllt mit ihrem Frühstück, ihrer Iso-Sitzmatte, und u.U. Taschentüchern, Ersatzsocken oder zusätzlichen Handschuhen, einem Sonnenhut.
Am Rastplatz angekommen, sind auch schon alle mit Auspacken beschäftigt. 
Nach dem Händewaschen wird in gemeinsamer Runde gefrühstückt. Danach geht es auf Entdeckungstour oder schon vertrautes Gelände wird wiederentdeckt. Oft entwickeln sich Rollenspiele innerhalb der Gruppe. 
Mit besonderem Stolz wird unser Sofa (selbstgebaut aus Zweigen) immer wieder „renoviert“ und verbessert.
Mit einem gemeinsamen Spiel endet gewöhnlich der Aufenthalt. Und die Gruppe bricht zum Rückweg auf. 
Im Klotzkreis wird sich mit einem Lied ( immer wiederkehrende Lieder begleiten die Kinder durch ihre gesamte Kindergartenzeit) verabschiedet.
Zwischen 12.30h und 13.00h kommen die Eltern, die sich zu Fahrgemeinschaften zusammengefunden haben, zum Abholen.

Historische Entwicklung einer Idee
Die Idee des Waldkindergartens wurde aus einer Lebenshaltung heraus vor etwa 50 Jahren in Dänemark in die Tat umgesetzt. In Deutschland gab es zunächst seit 1968 einen privat organisierten Waldkindergarten in Wiesbaden. 1993 eröffnete in Flensburg ein Waldkindergarten und seitdem verbreitet sich die Idee an der Waldpädagogik in Deutschland. Neben den Waldkindergärten entstanden Naturkindergärten. Der Wald ist ein idealer Lebensraum zur Vermittlung von Inhalten und zur Erprobung eigener Fähigkeiten. Der Wald ist nicht der einzige Lebensraum in der Natur. Natur ist mehr, beinhaltet noch weitere Lebensräume. So gesehen ist „Waldpädagogik“ ein Begriff, der für die Vermittlung einer bestimmten Pädagogik steht. Der Lebensraum „Wald“ war namensgebend für diese Pädagogik.

Verschiedene Formen der Waldpädagogik
Wald- und Naturkindergärten gibt es in unterschiedlichen Formen. Die reine Form ist ein Kindergarten ohne Wände und Türen, dem nur ein Stützpunkt als Schutzraum und zur Lagerung zur Verfügung steht. Die Anzahl der Betreuungstage entspricht derjenigen der Regelkindergärten.
In den Mischformen variiert das Angebot. Es gibt Kindergärten mit festen Wandergruppen, manche dieser Gruppen verbringen ein, zwei oder mehr Vormittage in der Woche in der Natur. In anderen Kindergärten werden Naturprojektwochen angeboten. Regelmäßige Waldwandertage pro Woche oder Monat oder ein mehrwöchiges Waldprojekt sind möglich Wege, um Waldpädagogik in das bestehende Konzept eine Kindergartens zu integrieren.

Physische und psychische Auswirkungen für das Kind
„ Frische Luft ist gesund“ und „Gesunde Kinder toben gerne“
Die Aktivität, die Bewegung ist ein Urbedürfnis des Mensches. In Wald- und Naturkindergärten halten sich die Kinder Tag für Tag im Freien auf. Wer sich das ganze Jahr über an der frischen Luft bewegt, stärkt sein Immunsystem.
Die Ansteckungsgefahr ist geringer als in geschlossenen Räumen, weil frische Luft keimfreier ist.
Die drei- bis sechsjährigen Kinder bewegen sich gern und viel. Aus diesem Grund frieren sie auch viel weniger, als besorgte Erwachsenen glauben. Natürlich ist eine wettergerechte Kleidung die Grundvoraussetzung!
Der Bewegungsapparat wird durch die Bewegung gekräftigt. Die Gefahr von Haltungsschäden wird verringert. Die Organentwicklung ( Herz und Lunge ) wird gefördert. In der Fein- und Grobmotorik werden die Kinder durch den dauernden Wechsel von Toben, Klettern, Rennen, Rutschen, Kullern, Betrachten, Lauschen, Basteln, Betasten oder Bauen gefordert. Wer so gefordert wird, wird in Ausdauer, Geschick, Kraft und Schnelligkeit verbessert.

Kindheit heute
Kinder stehen heute in einem Spannungsfeld zwischen emotionaler Vernachlässigung und materieller Verwöhnung. Sie werden gefahren, wo sie laufen könnten. Sie werden mit Filmen und Programmen unterhalten, wo mit eigener Phantasie eigene Erfahrungen in ihrer eigenen Lebenswelt gesammelt werden könnten.
Unsere heutige Gesellschaft ist geprägt durch Reizüberflutung, Bewegungsarmut, Verlust an Lebenserfahrungen und Lebenssinn. Kinder in einer solchen überorganisierten Kinderwelt erleben nicht das Glücksgefühl, etwas aus eigener Kraft geschafft zu haben. Sie entwickeln kein Selbstvertrauen, denn das kann nur wachsen durch viele kleine Erfolgserlebnisse und überwundene Niederlagen.
In den vergangenen Jahrzehnten haben Verkehr, Unfallrisiken, Abgase, Lärm und Bebauung zu genommen. Viele Eltern und Pädagogen suchen Lösungen, um auf dies Situation zu reagieren. Gebäude und Außengelände werden in ihrer Gestaltung überdacht und verändert. Kompensationsangebote für den Überfluss werden gemacht. „Früher“, so erinnern sich viele, „spielten wir draußen.“ Die Natur, in der wir gefahrlos sein können, muss heute aufgesucht werden, sie ist nicht mehr vor der Tür. Kinder sitzen und werden beengt durch Wände und vielen, nicht immer erklärbaren Regeln.

Chance für das Kind
Die Natur ist ein idealer Lebensraum, in dem sich Kinder in ihrer Persönlichkeit entfalten und entwickeln können. Der Kontrast zur reizüberfluteten Umwelt liegt auf der Hand. Im Jahresverlauf sind überschaubare und faszinierende Beobachtungen zu machen. Kinder können sich körperlich erproben, überwinden kleine Hindernisse und werden so in ihrem Selbstwertgefühl gestärkt.
Regeln, die mit Kindern erarbeitet und besprochen werden, sind verständlich, einsichtig, hinterfragbar und sinnvoll.